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Lucio Fontana (1899–1968) war in erster Linie Bildhauer. Von seinen ersten traditionellen Skulpturen bis hin zum Ambiente spaziale, seiner spezifischen Raumkunst, für die er die charakteristischen Buci (Löchern) und Tagli (Schnitten) erfand, beschäftigte er sich mit der Ausdehnung plastischer Materie im dreidimensionalen Raum. Um seine Raumvorstellung zu entwickeln, bediente er sich jedoch vor allem zweidimensionaler Bildträger wie Leinwänden oder Metallblechen, deren illusionistische Dimension er durchbrach und hinterfragte. Die Zeichnung hatte für Fontana in diesem Konzept vor allem modellhaften Charakter, dennoch ist sie alles andere als konstruiert. Schon in den frühen 1930er-Jahren nach Beendigung seiner Studien an der Academia Brera in Mailand lassen seine figurativen Skizzen die Dominanz der Linie erkennen, die im Prozess des Zeichnens die Fläche an den Raum bindet und damit dynamisiert. Während die Sujets eher traditionell sind (weibliche Akte, Figurengruppen, kämpfende Reiter), erweist sich die künstlerische Intention als experimentell und progressiv, anbindend an den expressiven Duktus der Zeichnungen Boccionis. Aus den 1940er-Jahren gibt es eine Reihe von Zeichnungen, die über das Mittel der Ecriture automatique zu jenen Abstraktionsformen gelangen, die der Ausgangspunkt seiner Ambienti spaziali werden sollte. Die über hundert Blätter aus zwei großen italienischen Privatsammlungen zeigten den Weg zu Fontanas Formfindung, die schließlich spontan erfolgte, in ihrer Intention jedoch zeichnerisch sorgfältig vorgeplant wurde. Hier finden sich in nuce alle Werkgruppen des Künstlers wieder bis hin zu den Teatrinos der späten Jahre (1964). Dazwischen gab es jedoch auch spontane Äußerungen wie die Tuschpinselserie weiblicher Akte, die in ihrer nervösen Handschrift das unmittelbare Erlebnis von Raumkonzept und animalischer Präsenz zusammenströmen ließen. Il Disegno – das italienische Renaissanceprinzip der Formbewältigung durch die Linie – war für Lucio Fontana ein unentbehrliches Mittel seiner künstlerischen Konzeption.
Einige keramische Skulpturen, vor allem aber die Präsentation seiner 1947 wenige Monate nach seiner Rückkehr aus Argentinien entstandenen Via Crucis, lassen den Zusammenhang von Linie und plastischer Form ahnen. Der einzigartige Kreuzweg mit seinen vierzehn Stationen, in den 1980er Jahren in einer italienischen Privatsammlung wiederentdeckt, wurde in den Keramikwerkstätten der Fa. Mazotti in Albisola Marina als Terracotta mit reflexierenden Farbglasuren ausgeführt. Er darf als ein Hauptwerk der Zeit gelten, in der Fontana seine Kunst der räumlichen Umgebung und der Raumbewegung entwickelte. Zur Ausstellung erschien ein Katalog, in dem der Großteil der ausgestellten Werke abgebildet ist, mit zwei einleitenden Essays von Flaminio Gualdoni und Veit Loers, zum Preis von DM 29,- (an der Museumskasse)