Kein Zweifel, es sind die langen sehnigen Hände des Künstlers, die die Hauptrolle in KRHYZOMORIA spielen, die Erde aufgraben, Garn wickeln, Wasser schöpfen, Blätter zerreissen, Löcher in Kakteen schneiden, Eier aufschlagen oder sogar Feuer transportieren. Ist es nicht seine, dann ist es eine Hand aus Feuer oder eine Riesenhand aus verkohlten Hölzern, die Mally Stück für Stück zur Seite wirft. In seinem Videofilm von 1997 „Das Eigene und das Fremde“ lässt er einen unendlich langen Weinstock durch seine Hände gleiten, an dem sozusagen der ganze Film mit seiner Handlung hängt. Mally verbindet und zerstört, er wechselt wie ein Chamäleon seine Farbe, indem es proteushaft in die Gestalt des anderen schlüpft. Mally ist Gott und Opfer: Er wickelt den Lebensfaden der Nornen auf, muß aber auch den Sand verdauen, der ihm in den Mund rieselt. Behutsam streicht er über Erde und Pflanzen, läßt aber gierige Eidechsen Früchte und Eidotter anfressen. Der Künstler steigt in glutschimmernde Krater und wird von Menschen aus der Grube gezogen. In diesen Metamorphosen können herausgeschnitte Kaktuskreise zu Satelliten generieren und Vögel als brennende Flugzeuge enden. Das Tertiär der dritten Dimension des Bildschirms lagert sich in der vierten Dimension der Betrachter:innen ab.
Es ist nicht sicher, ob Wolfgang Mally den Mythos nachvollzieht oder ob der Mythos sich ihm in seine künstlerische Arbeit hineindrängt. „Der Lauf der Dinge“ vollzieht sich nicht nur deshalb mediterran, weil der Künstler auf Formentera lebt, sondern weil er schon als Niederrheiner mediterrane Gestaltungsprinzipien beherzigte. Es sind die Wege in und aus dem Hades über Meer und Felsen in die Gefilde der Seligen, eine Odysee in den Nahbereich der Natur und die Ferne der Bildschirmillusion.
Das fröhlich-vedrackte Epos dieses Prometheus ist denn auch in Gottes Hand. Denn die „Romeros de la Puebla“ jubilieren ihr „Olé“ eines sentimentalen Weihnachtsliedes, das mit den Worten „Dios te salve Maria“ beginnt. Das herzerweichende Lied von der „Madre Dio“, untermalt von Kirchenglocken, näht die unzähligen Einzelszenen des Videos zusammen, und wo Mally der Tausch der Zeitebenen – zwischen Erdformation und Flugplatz – nicht ausreicht, schlägt er wie alle braven spanischen Bauern ein Ei darüber auf.
Wofgang Mally wurde 1952 in Magdeburg geboren, 1969–1973 Studium der visuellen Kommunikation an der Fachhochschule Düsseldorf, 1973–1980 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf, 1981 Förderpreis für Bildende Kunst der Stadt Düsseldorf, seit 1978 zahlreiche nationale und internationale Ausstellungen mit Performances, Skulpturen und Videoinstallationen u.a. in Kunstmuseum Bonn, Kunsthalle Bremen, Kunstverein Düsseldorf, Sprengel Museum Hannover und div. Galerien in Brüssel, New York und Barcelona. Wolfgang Mally lebt und arbeitet auf Formentera.