Hans Hollein ist mehr als ein Architekt. Er ist Künstler in einem umfassenden Verständnis und er setzt seine Vorstellung von Kunst und Architektur in unmittelbare Beziehung zu Fragen des menschlichen Handelns in Räumen und Situationen. ALLES IST ARCHITEKTUR knüpft an die Verbindung von Kunst und Alltag an, aus der sich im 20. Jahrhundert der Begriff Design entwickelt hat. Hollein agiert von diesem begrifflichen Zentrum aus in einer künstlerisch-anthropologischen Arbeitsweise, die Architektur als Raum-Kunst logisch einschließt.
Konzept: Wilfried Kuehn und Susanne Titz
Ein neuer Blick auf Hans Hollein: Das Museum Abteiberg realisiert eine Ausstellung, die den Entwerfer dieses Museums, den Wiener Architekten, Designer, Künstler, Publizisten und Kurator Hans Hollein in neuen Perspektiven zeigt. Anlässlich seines 80. Geburtstags geht es um eine Neubetrachtung, die das medial und interdisziplinär ausgreifende Denken dieses Architekten, seine anthropologischen Begriffe von Architektur und Design, die Nähe zu Pop Art, Joseph Beuys, der Gegenwartskunst seiner Generation sowie seine wegweisenden Projekte als Museumsarchitekt und Ausstellungskurator vor Augen führt. Das Projekt wurde gemeinsam mit dem Berliner Architekten und Kurator Wilfried Kuehn entworfen, es integriert neue Forschungsansätze jüngerer Architektur- und Kunsthistoriker und basiert auf vielen Materialien und Dokumenten aus dem Atelier Hollein, die in dieser Ausstellung erstmalig veröffentlicht werden.
Hans Hollein (*1934) war einer der Protagonisten in den Architektur- und Design-Debatten der 1960er- und 1970er-Jahre, gemeinsam mit Oswald Oberhuber und Walter Pichler Herausgeber der Wiener Zeitschrift BAU, in der sich in den mittleren 1960er-Jahren die Visionen einer international neuen Generation spiegelten und radikale Analysen der architektonischen Moderne stattfanden.
Hollein war früh auf Kongressen und in Medien präsent und es waren schon kleinere Aufträge für die Wiener Geschäftslokale Retti und Metek sowie die New Yorker Feigen Gallery, die ihn neben seinen experimentellen Ausstellungen als Künstler-Designer-Architekt publik machten. Vor dem ersten großen Bauauftrag in Mönchengladbach erhielt er 1967 auf Vermittlung von Joseph Beuys eine Professur für Architektur an der Düsseldorfer Kunstakademie, im gleichen Jahr erschien sein Text „Alles ist Architektur“ und es begann die Verbindung zum damals neuen Mönchengladbacher Museumsdirektor Johannes Cladders: 1970 fand im alten Museum an der Bismarckstraße Holleins kulturhistorische Ausstellungsinszenierung: „Alles ist Architektur. Eine Ausstellung zum Thema Tod“ statt, zwei Jahre später beauftragte ihn Cladders mit dem Bauentwurf für das Museum Abteiberg – ein ‚kuratorischer’ Direktauftrag ohne Wettbewerb.
Die Architektur seines ersten Gebäudes wird nunmehr zu Raum und Umgebung einer Ausstellung über Hollein. Die These „Alles ist Architektur“ wird dabei neu zitierbar, um an die Komplexität und Ganzheitlichkeit Holleins und einer architektonischen Generation zu erinnern, die – unter einigen umstrittenen Interpretationskriterien – in den 1980er-Jahren als „Postmoderne“ benannt wurde: Die Kultur- und Zeitgeschichte der 1960er-Jahre wird fassbar, die Kritik an der Moderne, das Auftreten von historischer Selbstreflexion, gesellschaftlicher Emanzipation, das vor der ästhetisch definierten „Postmoderne“ in Design und Architektur geschah (die Thesen von Strukturalismus und anthropologischer Theorie, die Literaturkritik von Leslie Fiedler, „Cross the border – close the gap“, 1969 und die Architekturkritik von Robert Venturi, „Complexity and contradiction in Architecture“, 1966, bzw. „Learning from Las Vegas“, mit Denise Scott Brown und Steven Izenour, 1972, sind Zeitgenossen).
Holleins mediale und publizistische Arbeit, seine Zukunftsvisionen wie die vom allseits verfügbaren „mobilen Büro“ und von neuartigen Stadtlandschaften, Wohn- und Lebenskapseln, von teils futuristischen Ideen, teils atavistisch-archaischen Rückgriffen auf den gegrabenen Raum, Raumbildung als Höhlung, werden hier in scheinbar paradoxer Parallelität sichtbar.
Die Genese von Holleins Werks wird durch eine Neubetrachtung seiner Biografie plastischer, eine Annäherung an die historischen Bedingungen und Anknüpfungspunkte: Neben der Herkunft aus einer Bergwerksfamilie (Holleins wichtiger Bezug: das Museum als Bergwerk) tritt die Erfahrung der Nachkriegszeit in Österreich, ein Baustudium in den 1950er-Jahren und ein anschließender Ausbruch aus den Wiener Kriegsruinen durch Reisen und ein USA-Stipendium, mit dem er von 1958 bis 1960 zwei Jahre quer durch Amerika reiste und Kontakte zu führenden Architekten knüpfte; Philip Johnson erwarb einige Jahre später Holleins Fotocollagen und führte sie in den Besitz des MoMA. Bisher unveröffentlichte Reiseberichte aus historischen Archiven sowie viele Zeichnungen, Skizzen, Collagen und Objekte werden die frühen Jahre in Holleins architektonischer Entwicklung darstellen, seine Entdeckung der „Architecture without Architects“, der Archaik der Pueblos, die gleichzeitige Affinität zu Pop und Science Fiction, die Medialisierung von Architektur als Design und Kommunikation. Zu sehen ist auch das auffällig skulpturale Moment seiner Zeichnungen und die generell große Bedeutung dieses Mediums: Gezeigt werden Holleins Anamorphosen von Kriegsschiff und Stadt (Flugzeugträger) oder solche von Frau und Landschaft, ebenso die vielen Entwurfsstudien für architektonische Räume und deren Details. Ganz frühe Studienarbeiten, Kirchenbauten, weisen voraus auf spätere Leitmotive, auf Architektur als Metapher, als Sprache, als Handlungs- und Kultraum.
Das gemeinsam mit Wilfried Kuehn entworfene Projekt ist keine Retrospektive, auch keine Architekturausstellung im klassischen Sinne, sondern ein essayistisches Vorhaben, das Holleins Werk, ebenso die Hintergründe und Einflüsse seines Denkens sowie auch dessen Einflüsse auf das Folgende neu sichtbar machen: Auslöser des internationalen Museumsbooms (Frank O. Gehry 1997: „There wouldn’t have been Bilbao without Mönchengladbach.“), stilbildend für die Architektur der 1980er- und 1990er-Jahre, wegweisend auch in der Medialisierung und Globalisierung von heutiger Architektur. Das Material aus den Beständen des Ateliers sorgt für Rückblicke, hiermit werden neue Forschungsansätze angeregt bzw. bereits in ihren akuten Denkansätzen portraitiert.
Die Ausstellung HANS HOLLEIN: ALLES IST ARCHITEKTUR wird in Kooperation mit dem MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst vorbereitet, wo unter dem Titel „HOLLEIN“ eine weitere Neubetrachtung des Werks stattfindet. Dort wird ein anderer Blick auf Holleins Architekturen mit neuen fotografischen Arbeiten von Aglaia Konrad und Armin Linke geworfen sowie Holleins Arbeit als Designer und Ausstellungsarchitekt thematisiert.
Die Ausstellung wird eingeführt und begleitet durch eine Ausstellungsbroschüre von ca. 60 Seiten, die zur Gratismitnahme für alle Ausstellungsbesucher:innen bereitliegt. Gemeinsam mit dem MAK Wien wird ein Katalog erscheinen, der aus den neuen Fotoarbeiten von Aglaia Konrad und Armin Linke den Blick hin auf eine neue Thematisierung von Holleins ursprünglichen Ideen und auf deren spätere – heutige – Realität richtet.
Diese Ausstellung wird realisiert mit großzügiger Unterstützung der Kunststiftung NRW, der Hans Fries-Stiftung, der NEW AG, der Stadtsparkasse Mönchengladbach und weiteren unternehmerischen und privaten Förder:innen.
PROGRAMM
14. Juni und 17. Juni 2014 jeweils 15 Uhr
HANS HOLLEIN, DAS RITUAL UND DIE RELIGION
mit Pfarrer Stephan Dedring (Samstag) und Dr. Albert Damblon (Dienstag)
Hans Hollein hat sich mit Ritual und Religion beschäftigt, mit spirituellen und geistlichen Räumen. Er hat einige Kirchen entworfen, die unrealisiert blieben, und hat in seinen frühen Jahren viele Kirchen gezeichnet. Anlässlich der Mönchengladbacher Heiligtumsfahrt 2014 werden deren leitender Intendant, der emeritierte Probst der Münsterkirche Dr. Albert Damblon und sein Kollege der evangelischen Hauptkirche in Rheydt, Pfarrer Stephan Dedring zwei besondere Führungen durch die Ausstellung von Hans Hollein unternehmen, die sich dieser Thematik im Werk von Hollein annähern wollen.
28. September 2014
HANS HOLLEIN in retrospect. Die Aktualität einer neuen Forschung
SYMPOSIUM zum Abschluss der Ausstellung HANS HOLLEIN: ALLES IST ARCHITEKTUR
initiiert von Wilfried Kuehn und Susanne Titz
in Zusammenarbeit mit Eva Branscome, Samuel Korn und Andreas Rumpfhuber
zum Auftakt eines zweijährigen Forschungsstipendiums zur Geschichte des Museums Abteiberg, gefördert durch die Gerda Henkel-Stiftung
Kunst- und Architekturhistoriker:innen mehrerer Generationen treffen zusammen und beschäftigen sich mit Hans Holleins Museums- und Ausstellungsarchitekturen. Es geht um eine Neubetrachtung von berühmten und einst wegweisenden Gedanken, um den Beginn einer neuen Forschungsarbeit, die sowohl das komplexe visionäre und antizipatorische Denken Hans Holleins als auch die Entwicklung von Kunst und Museen, Gesellschaft und Kulturindustrie seit den 1960er-Jahren thematisieren will. Nach zehnjähriger Bauzeit eröffnete 1982 das Museum Abteiberg in Mönchengladbach. Es war das ideelle Produkt des damaligen Museumsdirektors Johannes Cladders, der ein visionärer Förderer der künstlerischen Avantgarde war und für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Gegenwartskunst eine neue Art Museum forderte. Als Architekt wählte er den Wiener Hans Hollein, der – initiiert und vermittelt durch Joseph Beuys – von 1967 bis 1976 Professor für Architektur an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf war. Künstler:innen und Architekt:innen verband in dieser Zeit Vieles, der Kontakt stimulierte die Arbeit und das Denken beider Disziplinen. Und so ereignete sich in diesem Museumsneubau eine unvergleichliche Verzahnung von Kunst und Architektur, zudem ergab seine gesamte räumliche Konzeption eine Herausforderung zu neuartiger kuratorischer Praxis.
Runde 1 wird unter der Moderation von Eva Branscome die Entstehung des Museums Abteiberg aus der künstlerischen Szene der 1960er- bis 1980er-Jahre diskutieren und damit versuchen, ein erweitertes Wissen um die Effekte dieser ungewöhnlich fruchtbaren interdisziplinären Beziehung zwischen Kunst und Architektur zu gewinnen. Hierbei wird auch der historische Raum eröffnet, in dem die austro-amerikanische Architekturhistorikerin Eva Branscome, die soeben an der Bartlett School of Architecture in London eine Dissertation über Hans Hollein beendet hat, ab September 2014 für zwei Jahre als Stipendiatin der Gerda Henkel-Stiftung am Museum Abteiberg forschen wird. Der Titel der ersten Runde übernimmt denjenigen der beginnenden Forschungsarbeit, „Interface und Interaktion – Beziehungen zwischen der Architektur des Museums Abteiberg und der zeitgenössischen Kunstpraxis“, die nach der frühen fundamentalen Studie von Wolfgang Pehnt („Hans Hollein. Museum in Mönchengladbach: Architektur als Collage“, 1986) nun eine umfassende interdisziplinäre Untersuchung zur Ideen- und Entstehungsgeschichte dieses Museums leisten will.
Runde 2 wird unter der Moderation von Samuel Korn weiterführende Betrachtungen zur Veränderung von Museum und Ausstellung in den 1960er- bis 1980er-Jahren unternehmen. Samuel Korn, Absolvent der HFG Karlsruhe, beschäftigt sich zur Zeit in einer Forschungsarbeit mit dieser Schnittstelle von Architektur-, Kunst- und Kulturgeschichte. Ausgehend von Holleins Entwurf für das Museum Abteiberg will er gemeinsam mit den weiteren Teilnehmern sowohl Ordnungs- und Raumorganisationsstrukturen diskutieren, die Hinweis auf eine veränderte Ausstellungs- und Sammlungspraxis sind, als auch die Motivation der Institution untersuchen, die eine solche Raumform hervorgebracht hat. Inwieweit gehen veränderte Ausstellungspraktiken nicht nur auf spezifische künstlerische, kuratorische und architektonische Positionen zurück, sondern verweisen auf eine veränderte Wahrnehmung der Aufgaben des Museums? Und: Inwieweit sind museale Einrichtungen aktive Produzenten dieser Verschiebungen? Ziel dieser Runde wird es sein, die sich verändernde Rolle der Museen, der Ausstellung und der Architektur als Medien der kapitalistischen Kulturindustrie zu untersuchen – Verschiebungen im Selbstverständnis, aber auch in Methodik und Struktur, die sich in zwei Schritten beschreiben lassen und die in etwa mit dem Beginn der Planungen und der Eröffnung dieses Museumsneubaus zusammenfallen: Sind es vordergründig Kontinuitäten in der künstlerischen Praxis von der Moderne bis zum Museumsboom der 1980er Jahre, welche die Ausstellungspraktik erweitern und über primär ästhetische Kategorien hinaus entwickeln, lässt sich im Vergleich des Entwurfs des Museums Abteiberg mit auf diesen Bau folgenden Museen – von der neuen Staatsgalerie Stuttgart bis zum Guggenheim Bilbao – ein Bruch konstatieren. Lässt sich der erste Schritt stark vereinfacht als Aufbrechen der Institution benennen, stellt der zweite eine Vereinnahmung und Institutionalisierung der vormals anti-institutionellen Praktiken dar.
Aufgrund der vergleichsweise langen Planungs- und Bauphase lässt sich am Museum Abteiberg dieser zweifache Wechsel im Selbstverständnis der Institution sichtbar machen. Elementar für das Verständnis des Bauprojekts Museum Abteiberg ist Holleins Idee vom Ausstellen, die einerseits auf veränderte künstlerische Praktiken reagierte, andererseits auf neue Arbeitsmethoden und Bedürfnisse innerhalb der kulturellen Institutionen reagierte. Es lassen sich entwerferische und darstellerische Techniken aufzeigen, deren strukturalistische oder typologische Ansätze das spätmoderne Architekturverständnis erweiterten – und deren Medialisierung in Publikationen und Ausstellungen unser heutiges Verständnis häufig stärker prägten als die Gebäude selbst bzw. deren Nutzung. Das Interesse daran, Museumsbauten in diesem Sinne als „doppelte Display-Apparaturen“ (S. Korn) zu lesen, zielt nicht zuletzt darauf ab, eine sich verändernde soziale Ordnung und die Rolle des Museums als Ausdruck eines spezifischen Gedächtnis- und Wertesystems zu verstehen. Daher steht die Entwicklung des Museums von einem Tresor der Kulturschätze zu einem Produzenten und Display neuer gesellschaftlicher Funktionen und Ordnungen im Mittelpunkt des Interesses. Im Sinne eines Auftakts für das zweijährige Forschungsprojekt am Museum Abteiberg werden in Statement-artigen Beiträgen mögliche Themenfelder vorgestellt und anschließend in interdisziplinärer Auseinandersetzung diskutiert.
28. September 2014
11 Uhr Kurator:innenführung durch die Ausstellung HANS HOLLEIN: ALLES IST ARCHITEKTUR, anschließend Begrüßung im Vortragssaal
Wilfried Kuehn und Susanne Titz
12 Uhr „Interface und Interaktion – Beziehungen zwischen der Architektur des Museums Abteiberg und der zeitgenössischen Kunstpraxis“
Kurzvorträge und Diskussion in deutscher Sprache
Eva Branscome, London, Stipendiatin der Gerda Henkel-Stiftung am Museum Abteiberg mit Oliver Elser, Deutsches Architekturmuseum Frankfurt, Barbara Engelbach, Museum Ludwig Köln, und Jan Verwoert, Kunstakademie Oslo
14.45 Uhr „Museum Abteiberg, or: The Birth of the Museum as a Medium of Cultural Industry“ (dt. „Kulturberg: Das Museum Abteiberg als Medium der Kulturindustrie“)
Kurzvorträge und Diskussion in englischer Sprache
Samuel Korn, Frankfurt / Berlin, Ausstellungsarchitekt und -forscher, mit Antony Hudek, Exhibition Research Centre, Liverpool / Raven Row, London, Léa-Catherine Szacka, Oslo Centre for Critical Architectural Studies (OCCAS), und Andreas Rumpfhuber, Expanded Design/Akademie der Bildenden Künste, Wien
16.30 Uhr Diskussion in großer Runde – in deutscher & englischer Sprache
Moderation Wilfried Kuehn und Susanne Titz
Realisiert mit großzügiger Förderung der Gerda Henkel-Stiftung und des Österreichischen Bundeskanzleramts Wien. Die Ausstellung HANS HOLLEIN: ALLES IST ARCHITEKTUR wurde gefördert durch die Kunststiftung NRW, die Hans Fries-Stiftung, NEW AG, Stadtsparkasse Mönchengladbach und weitere unternehmerische und private Förder:innen. Die Ausstellung wurde entworfen in Zusammenarbeit mit dem MAK – Österreichisches Museum für Angewandte Kunst / Gegenwartskunst Wien, dort „HOLLEIN“ zu sehen bis 4. Oktober 2014.