David W.Griffith, Deutscher Expressionismus, Rudolf Steiner, Filmstills aus Hollywood, Leoncillo, Dieter Roth, Jonathan Meese

Die Ausstellung zeigte einige prägnante und ungewöhnliche Momente der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Sie hinterfragte, ob Gestalten immer mit Kunst gleichgesetzt werden kann wie bei Griffith, Steiner und der Fotografie des Filmstils und mutmaßte, dass Kunst nicht das bleibt, was man sich unter ihr vorstellt: Berühmtheit und Vergessenheit, Verschwinden und Wiederauftauchen. Gleichzeitig ist es die Frage nach der Rezeption. Einmal dem Schicksal ausgesetzt, wird Kunst nicht nur zu einem Energiestein künstlerischen Wollens, sondern auch zu einem Symbol des Zeitgeistes, sie objektiviert sich im Nachhinein mehr und mehr und hinterlässt Spuren und Wunden. Im Verborgenen laufen unsichtbare Kunstprozesse ab, die sehr viel über Entstehung und Rezeption aussagen. Die Auswahl der Werke zu den jeweiligen Dekaden stellte Position nebeneinander, die man normalerweise nicht zusammen sieht. Sie bilden eine visionäre Kette, die das Jahrhundert, sozusagen von Steiner zu Meese umschließt. Dabei beginnt der Reigen nicht mit dem Medium Malerei, sondern dem Film und endet mit Schrift, Zeichnung, Video und Fotokopie als gleichberechtigten „Bildern“ unserer Zeit.

David W.Griffith, A Corner In Wheat (Der Weizenkönig), The Country Doctor (Der Landarzt), USA 1909
Die ersten Filme, in denen Schwenks, Schnitte, Totale, Auf- und Abblenden die Filmtechnik späterer Jahre vorwegnehmen. Der 34-jährige Filmpionier griff zu neuen gestalterischen Mitteln, um das erzählerische Moment seiner meist tragischen Geschichten herauszustellen. Ohne das Medium des Films kann man sich im Rückblick das Phänomen Avantgarde kaum vorstellen. Doch arbeitete ein Regisseur wie Griffith (1875–1948) mit seiner veristischen und zugleich visionären Intention nicht am Kunstbegriff, sondern an der Nobilitierung einer neuen Gattung, für die es kaum Vorbilder gab. In Zusammenarbeit mit Heiner Ross, Kinemathek Hamburg e.V.

Expressionisten der ehem. Dr. Walter Kaesbach Stiftung Mönchengladbach
Enteignungen und Neuankäufe nach 1945 rund vierzig Werke (Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen) von Kirchner, Heckel, Rohlfs, Nauen, Campendonk, zusammen mit Archivalien und Dokumenten. Die Stadt Mönchengladbach erhielt 1923 als Schenkung rund vierzig expressionistische Gemälde des hier geborenen Museumsdirektors (Angermuseum Erfurt) und späteren Akademiedirektors (Düsseldorf) Prof. Dr. Walter Kaesbach. Diese wurden 1938 als entartet beschlagnahmt und gelten zum Großteil als verschollen. Die wichtigsten Werke jedoch wurden nach dem Krieg von deutschen Galeristen verkauft, die sie von den NS-Machthabern im Tausch erhielten. Einige der verschollenen Gemälde und Aquarelle können nun erstmals wieder zusammen mit Archivalien und Dokumenten aus der Zeit von 1930 bis 1948 in Mönchengladbach gezeigt werden. Das Schicksal dieser Sammlung ist ein Paradigma für gesellschaftliche Zwänge: die Utopie von Künstlern wie Kirchner und Heckel, aus einer politischen und bürokratischen Welt auszubrechen und von ihr wiedereingeholt zu werden. Unter den gezeigten Gemälden sind sehr persönliche Arbeiten wie etwa Heckels „Der Freund“ (Roquairol, 1917, eine Hommage an Ernst Ludwig Kirchner in der literarischen Anspielung auf Jean Pauls „Titan“). Nach dem Krieg schenkte Kaesbach der Stadt Mönchengladbach nochmals Arbeiten auf Papier von Heinrich Nauen. Der Mönchengladbacher Museumsdirektor Heinrich Dattenberg begriff den Verlust der Kaesbach-Sammlung als Verpflichtung, eine neue Expressionismus-Sammlung aufzubauen.

Rudolf Steiner, Tafelzeichnungen, 1921–1925
Steiners auf schwarzes Packpapier gezeichnete Konzepte und Theorien parallel zu seinen Vorträgen sind – nach mehreren Ausstellungen in wichtigen Museen im Nachhinein zur Kunst erklärt worden: Zu konzeptuellen eindrucksvollen Diagrammen, die Ideen der internationalen Concept Art, insbesondere von Joseph Beuys vorwegnehmen. Die Tafelzeichnungen befassen sich vorwiegend mit der Beseelung des Kosmos, der in direkter Wechselwirkung zu unserem Körper steht. Denken als Vorstellung, als Imagination, führt zu merkwürdigen Gespinsten, die nichts erklären ohne, dass sie es auch darstellen. Dadurch, dass das Werden im Mittelpunkt der Zeichenarbeit steht, bleiben die Piktogramme hochaktuell: Visionär und schicksalshaft zugleich.

Filmstills aus Hollywood, 1927–1942 aus der Kobal Collection London
Die klassischen Filmstills sind von professionellen Fotograf:innen geschaffene Standbilder zu Filmen, die in der Regel vor Drehbeginn zu Werbezwecken aufgenommen wurden. Heute werden solche Filmstills weitgehend schon selbst dem Bereich der Kunst zugeordnet, vor allem die klassischen der 1920er- bis 1950er-Jahre. Sie waren auch das Vorbild für inszenierte Fotografie etwa bei Cindy Sherman oder Jeff Wall. Die gezeigten Stills aus dem Hollywood der 1930er-Jahre mit berühmten Schauspieler:innen wie Marlene Dietrich, Joan Crawford, Hedy Lamarr, James Cagney und Edward G.Robinson sind eine Mischung aus Glamour und Schicksal, in die Sprache der Kunst übersetzt, zwischen Bereichen des Ornaments, der Inszenierung und der Architektur sowie den Bereichen des Obsessiven, Expressiven und Depressiven. Die Künstlichkeit der Szenen und die ornamentale Geschlossenheit erheben die Filmstills aus Hollywood über das in ihnen Gemeinte heraus in eine immer gleichbleibende Fantasiewelt.

Leoncillo (1915–1968), 3 Terracotta-Skulpturen, 1961/62
Der italienische Bildhauer aus Spoleto, in Deutschland wenig bekannt, schuf ein eigenartiges Werk, in Terracotta, das in seinen figurativen Anfängen von der römischen Novecento-Bewegung beeinflusst war und nach dem Krieg zu überlebensgroßen, abstrakten informellen Lösungen gelangte, die trotz klassischer Formen eine ungewöhnliche expressive Haltung verraten. Mit seinem Œuvre umspannt er in rästelhafter Melancholie die schicksalshaften Jahre des Faschismus mit der „zweiten Moderne“ der Nachkriegszeit. Bei Leoncillo taucht der Werktitel „wounded time“ auf, der nicht nur Pathos mit Schmerz verbindet, sondern langfristige Gefühlszustände wie Erinnerung und Leiden bereithält.

Dieter Roth (1930–1998), Gartenskulptur
Der ehemalige Fluxuskünstler ist Symbol für das Einbringen seiner Biografie in eine konzeptuelle künstlerische Arbeit, in der Humor und Depression Hand in Hand gehen. Die monumentale, sieben Meter hohe Gartenplastik, die sich wie Géricaults „Floß der Medusa“ hochreckt, entstand aus altem, zersägtem Mobiliar des Künstlers, später bereichert durch Pflanzen, Pflanzensäfte und Videos, auf denen ältere Standorte zu sehen sind. 1968 bis 1975 stand sie in ihrer Urform im Garten eines Freundes in Köln, später bei Reimar Buse in Hamburg, von wo aus sie in den frühen achtziger Jahren in die Schweiz gelangte. Dort, im Nachbarhaus seines Freundes Franz Eggenschwiler in Eriswil, wurde die Gartenplastik größer und größer. Es kamen Stühle aus Roths Büro und Pflanzen aus einem Garten hinzu. Im Herbst 1992 wurde sie in Holderbank (Schweiz) aufgestellt. 1995 schließlich war sie in der Wiener Secession zu sehen. Ursprünglich war diese „Maschine“ für aussen geplant, aber nun ist sie als Idee, als Monument und Garten selbst eine gewaltige Innenskulptur. Björn Roth, langjähriger Mitstreiter seines Vaters und CoKünstler der Gartenskulptur verbindet sie in Mönchengladbach mit Holleins Cafeteria zu einem humanen Komplex. Die Gartenskulptur wurde in ihrer jetzigen Größe noch nie in Deutschland ausgestellt.

Jonathan Meese (*1972)
Der eigenwillige junge Hamburger Künstler, der mit seinen Performances und Bauten aus Schrift- und Bildcollagen seit zwei Jahren in der deutschen Kunstszene präsent ist, entwickelt einen Raum, in dem Geschichte und Kunstgeschichte ganz neu gelesen werden können. In Meeses Installationen verbinden sich Erz-Wagner und Erz-Stalin mit den Bildwelten Stanley Kubricks zu einer visionären Rückschau auf das 20.Jahrhundert. Meese entwickelt neue Mythen, die sprachliche Fantasieprodukte sind, neue Gebilde, die auf assoziativer Ebene ihre „wilde“ Logik besitzen. War dies zunächst die Freiheitswelt der Räuber und die Staats- und Kulturwelt von Kirche, Musik und Philosophie, so ist jetzt die Welt des Geldes und der Drogen in sein Interesse gerückt.

Ein Katalog im Taschenbuchformat mit zahlreichen Abbildungen, Beiträgen von Dr. Walter Kugler, Dr. Hannelore Kerstng, Dr. Dirk Dopke, James A. van Dyke, Alois Martin Müller, Enrico Mascelloni und einer Einleitung von Dr. Veit Loers ist zum Preis von DM 29,- an der Museumskasse erhältlich, ISBN-Nr.: 3-924039-44-5.