STRETCH ist eine umfassende Werkschau der Künstlerin Alexandra Bircken, die sowohl frühe als auch neue ortsspezifische Arbeiten zeigt. Das Experiment mit dem Material und der Körper als Ausgangspunkt sind grundlegende Parameter ihrer skulpturalen Arbeit. Die Haut als Bekleidung, als Organ und zellulare Struktur, aber auch als Grenze zwischen Innen und Außen ist der Initiator für die Entwicklung der vielschichtig konstruierten Objekte. Materiell sind ihre Arbeiten geprägt von unterschiedlicher, oftmals kontrastierender Beschaffenheit.
Gipsmodellagen, Körperabgüsse, Schaufensterpuppen, Kleidungsstücke verwandeln sich in menschliche Fragmente, aufgerissene Motorradkluften in Felle, auch Motorräder und Waffen werden bildhauerisch dekonstruiert, erscheinen aufgeschnitten wie Leiber. Durch hausartige Konstruktionen, lange Leitern, Gestelle auf Rädern kommen Ahnungen von Architektur hinzu. Es entstehen räumliche Situationen, die ein Zusammenspiel von Mensch und Maschine, einen Ersatz durch den Roboter, den Replikanten erscheinen lassen, anthropomorphe Formwandlungen, aus denen eine neue menschliche Existenz und eine veränderte Gegenwart von Raum und Zeit entsteht.
Die Arbeiten von Bircken (*1967, lebt in Köln) bestechen einerseits durch eine auratisch geladene Materialpräsenz und erinnern andererseits an den menschlichen Körper und dessen Schutzhüllen – sei es in stofflicher oder auch architektonischer Art und Weise. So erinnert beispielsweise das Walking House (2016) an ein archaisches Baumhaus oder – wie im Titel angelegt – an ein modulares, vermeintlich bewegliches Domizil. Demgegenüber stehen weiche, fließende Formen wie etwa jüngst ein grobmaschiges Wollgewebe bzw. Ornament mit dem Titel Cocoon Club (2016).
Rund sechzig Arbeiten werden im Museum Abteiberg zu sehen sein, verteilt im großen Wechselausstellungsraum und dem offenen Ausstellungsbereich in der Straßenebene. Über den Parcours verteilt tauchen diverse an menschliche Figuren erinnernde Skulpturen auf, die auf Treppen drapiert, stehend oder liegend den Besucher:innen gegenübertreten. Diese figurativen Arbeiten werden in Bezug gesetzt zur Maschine: als vom Menschen erschaffene Apparatur oder Machtinstrument. Die Dominanz- und Schutzbehauptung von Motorradkleidung, von Motorrädern von Waffen wird durch Verletzungsspuren thematisiert – etwa in Figuren, die aus Motorradbekleidungen gefertigt sind. Maschinen, diverse Waffen und zwei Motorräder sind wie Körper zerschnitten und dekontextualisiert.
Erstmalig sind in dieser Ausstellung, die gemeinsam mit dem Kunstverein in Hannover realisiert wird, frühe Objekte und Skizzen zu sehen, die an der Schnittstelle von Mode und Kunst entstanden. Mit dem Shop „Alex“ (Köln) begann 2003 die künstlerische Arbeit Birckens, die zuvor eine Ausbildung zur Modedesignerin am St. Martins College in London absolviert hatte, wo sie lange lehrte und sich u.a. mit ihrem eigenen Label „Faridi“ einen Namen machte. Bereits ihre frühen Accessoires lassen ein künstlerisches Interesse an Objekthaftem und Räumlichem erkennen. Alexandra Bircken entwickelte große ortsspezifische Interventionen, die das Zusammenspiel von Mensch und Maschine sowie Figur oder Roboter im Raum beleuchten. Der Ausstellungsparcours als eine räumliche Welt aus Protagonisten und Formwandlungen führt das Publikum auf die Fährte, sich selbst und die eigene Relation zu Welt und Zeit zu thematisieren.
Alexandra Birckens Werke wurden in jüngeren Museumsausstellungen etwa im Museum Boijmans van Beuningen, Rotterdam (2014) oder in The Hepworth Wakefield (2014) gezeigt. Zuvor stellte sie beispielsweise im Kunstverein in Hamburg (2012) sowie im Studio Voltaire in London (2011) und im Kölnischen Kunstverein (2010) aus. Die Ausstellung STRETCH wurde in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Hannover realisiert und erzeugt an beiden Orten unterschiedliche räumliche Situationen. Im Rahmen der Ausstellungstournee ist eine Publikation zum Werk von Alexandra Bircken erschienen.
PROGRAMM
19. Mai 2017, 19–24 Uhr
Sparda-Nacht: Lesung, Gespräch, Konzert, Imbiss und Führungen zur Ausstellung
19.30 Uhr: AUSSTELLUNGSGESPRÄCH mit Alexandra Bircken
20.30 Uhr: VORTRAG Dr. med. Christoph Scholl: Verletzungsmuster und -schutz bei motorisierten Zweiradfahrern
22 Uhr: CONCERT Chicks on Speed
22. Juni 2017, 19.30 Uhr
Thomas Brinkmann mit Oren Ambarchi und Crys Cole
KONZERT-PREMIERE in der Ausstellung STRETCH, im Rahmen der Ensemblia 2017
Thomas Brinkmann (*1959 in Mönchengladbach) gehört zu den international wichtigsten Elektromusiker:innen. Aufbauend auf der seriellen Musik von Morton Feldman und den Grenzgängen des deutschen Krautrock in den 1970er-Jahren steht seine Arbeit für die Generation Techno, in der Schallplattenspieler, Mixer und elektronische Effektgeräte das abstrakt-minimalistische Verständnis der zeitgenössischen E-Musik in Diskotheken und Clubs überführte. Brinkmann wurde geprägt durch Tangerine Dream, Ash Ra Tempel und Kraftwerk. Von Can-Musiker Jaki Liebezeit lernte Brinkmann das Schlagzeugspiel. In den 1990er-Jahren studierte er zwischenzeitlich an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Jannis Kounellis und Oswald Wiener, wurde dann 1997 in der Technoszene bekannt mit ersten Sound-und Sprach-Projekten, die er mit modifizierten Schallplattenspielern aufführte. 2000 gründete er das eigene Label Max Ernst, um seine Arbeit zu publizieren, daneben produzierte er Solo- und Gemeinschaftsaufnahmen auf zahlreichen wichtigen Labels, arbeitete live und im Studio mit Musikern und DJs weltweit.
Die Ausstellung im Museum Abteiberg und die Künstlerpublikation wurden realisiert mit großzügiger Förderung durch die Stiftung für Kunst, Kultur und Soziales der Sparda Bank West.