Magdalena Abakanowicz, Anni Albers, Carl Andre, Leonor Antunes, Tonico Lemos Auad, Thomas Bayrle, Jagoda Buic, Heinrich Clasing, Yael Davids, Sofie Dawo, Ria van Eyk, Hans Finsler, Elsi Giauque, Sheela Gowda, Eva Hesse, Sheila Hicks, Loes van der Horst, Johannes Itten, Elisabeth Kadow, Paul Klee, Benita Koch-Otte, Heinrich Koch, Beryl Korot, Konrad Lueg, Agnes Martin, Katrin Mayer, Cildo Meireles, Kitty van der Mijll Dekker, Nasreen Mohamedi, Walter Peterhans, Edith Post-Eberhardt, Josephine Pryde, Florian Pumhösl, Grete Reichardt, Elaine Reichek, Willem de Rooij, Desirée Scholten, Johannes Schweiger, Gunta Stölzl, Lenore Tawney, Rosemarie Trockel, Vincent Vulsma, sowie historische Materialien und Muster aus dem Bauhaus Archiv Berlin, Stiftung Bauhaus Dessau, Burg Giebichenstein, Textilmuseum Krefeld, Stedelijk Museum Amsterdam und Fondation Toms Pauli, eine Auswahl an Publikationen aus der Seth Siegelaub @ Stichting Egress Foundation und koptische Stoffe aus der Sammlung des Museums Abteiberg

Kuratiert von Rike Frank und Grant Watson

Für einige Jahre gab es eine vage Vision von dieser Ausstellung, die sich mit dem Textilen beschäftigt. Dem Material, das in der bildenden Kunst oft nur Leinwand ist, in der so genannten angewandten Kunst hingegen und in der Weltgeschichte eines der wichtigsten Medien überhaupt, von den Anfängen der Zivilisation bis heute. Neben dem Töpfern die älteste Kulturtechnik, ein technisch und ästhetisch hochgradig zeichenhaftes Material, Produkt aus Fäden jeglicher Art, Stoff, Gewebe, Textur, optisch und haptisch sensorisches Muster. Die Thematik besitzt einige Anknüpfungspunkte in Mönchengladbach. Pop, Minimal und Conceptual Art, prozessuale und grundlegend realitätsbezogene Gedanken der Kunst nach 1960 machten aus vielen Materialien Anschauungsmodelle und legten deren kulturhistorische Stoffe frei: in völlig puren Leinwänden (Piero Manzoni, Lucio Fontana), Flächen aus genähter Baumwolle (Blinky Palermo), schematischen Linien, Fäden, Strukturen (Francois Morellet), textilen Kostümen und Kulissen (Joseph Beuys, Mike Kelley, Anna Oppermann, Gregor Schneider), Beziehungen von Objekt und Text (die Stoffhemden ‚Un coup de dés’ von Marcel Broodthaers). Umgeben von den Objekten der Mönchenglabacher Ausstellungs- und Sammlungsgeschichte führt die aktuelle Ausstellung tiefer hinein in die historischen, modernen und unmittelbar gegenwärtigen Aspekte des Materials. Sie erinnert dabei an die vergessene Bedeutung der Textilkunst in der künstlerischen Moderne. Und zwar einerseits für die moderne Utopie – das neuartige Web- und Textildesign am Bauhaus und vielen folgenden Textil- und Werkkunstschulen war formal und ökonomisch-industriell die wohl erfolgreichste Abteilung der modernen Ästhetik. In Fortsetzung folgte anonyme Massenproduktion, dann IKEA, schließlich Manufactum. Und andererseits für die breiteren Strömungen der Kunst- und Kulturgeschichte in den 1960er- und 1970er-Jahren, als freie textile und multimediale Auseinandersetzungen der Fibre Art großes Publikum hatten.Textilkunst wurde auf Weltausstellungen, ebenso in Biennalen der Textilkunst und der Fibre Art gezeigt, war in führenden Ausstellungshäusern wie dem Stedelijk Museum Amsterdam, dem New Yorker Museum of Modern Art oder der Kunsthalle Bern präsent, doch aus dem Leitdiskurs der bildenden Kunst blieb sie separiert und aussortiert, als Gebrauchsdesign, Kunsthandwerk bzw. Frauenkunst.

Mönchengladbach ist eine Stadt der Textilindustrie, früher nannte man sie das Manchester des Rheinlands: Sie wurde reich mit den billigen Fasern von Flachs und Baumwolle, mit einem Textilmaschinenbau, der immer effektivere, schnellere und automatisierte Technologien erfand, weltweit exportiert mit dem Effekt der Selbstaufgabe: Tausende Arbeitsplätze gingen an billigere Regionen verloren, ein stillerer Krisenprozess als im Ruhrgebiet, doch ebenso drastisch und plastisch nachspürbar in den vielen (schnellen, lauten, hochtechnologischen, einst den Computer erfindenden) Automaten, die in den vergangenen Jahren in das Textilmaschinendepot der städtischen Museen eingegangen sind. Die Textilunternehmen der Gegenwart besitzen hier ihreZentralen, Planung, Design, Logistik, Werbung und Distribution, die Produktionsstandorte sind anderswo. In der Vorgeschichte des Museums Abteiberg galt eine Muster- und Schausammlung von Textilien als wichtige Aufgabe für das Mönchengladbacher Museum, das ein modernes Museum für diese moderne Textilstadt werden wollte: Bürger:innen und Ingenieur:innen sollten die lange Geschichte der Textilproduktion begreifen, beginnend mit antiken koptischen Stücken wurden im frühen 20. Jahrhundert und nach dem Zweiten Weltkrieg historische Originalbelege gesammelt. Ein lokaler industriehistorischer Aspekt liegt auch in den Objekten aus dem Deutschen Textilmuseum Krefeld: Es sind rare Dokumente von Johannes Itten und seinen Schülern aus dem fast völlig vernichteten Archiv der Höheren Fachschule für textile Flächenkunst in Krefeld, die – im Jahr 1932 von niederrheinischen Unternehmern initiiert – die Keimzelle der heutigen Textil-Lehrstühle an der Hochschule Niederrhein war.

Rike Frank und Grant Watson haben TEXTILES: OPEN LETTER als ein mehrjähriges Rechercheprojekt konzipiert, das – in Zusammenarbeit mit Sabeth Buchmann und der Akademie der Künste Wien sowie Leire Vergara und Bulegoa z/b in Bilbao – eine umfassende Neubetrachtung des Mediums Textil unternimmt. Die thematische Auseinandersetzung von TEXTILES: OPEN LETTER ist ein work in progress: In der Wiener Generali Foundation folgt 2014 ein anderer Focus mit einer neuen Zusammenstellung von Objekten. Parallel entsteht im weiteren Verlauf eine umfassende Publikation des Projekts TEXTILES: OPEN LETTER mit zahlreichen Texten und Abbildungen. Im Rahmen der Ausstellung am Museum Abteiberg findet am 3. Oktober 2013 eine Tagung mit Vorträgen und Diskussionen statt.

Anhand einer Konstellation von historischen und aktuellen Arbeiten reflektiert TEXTILES: OPEN LETTER den wechselseitigen Einfluss zwischen Textilien und zeitgenössischer Kunst. Die Ausstellung geht der Frage nach, wie Textilien aufgrund ihres Formenvokabulars, ihrer Materialität und Kulturgeschichte sowohl historisch als auch aktuell eine künstlerische Sprache und Forschung mit geformt haben und vice versa Textilien und „Textilkunst“ in einer engen Beziehung zu formalen und konzeptuellen Fragestellungen in der Bildenden Kunst stehen und sich entlang dieser entwickelten.


Die künstlerischen Arbeiten, Webmuster, Dokumente und Archive verdeutlichen die Faszination für Textilien, ihre Sprache der Abstraktion, ihre Geschichte, die auf eine der ältesten Kulturtechniken zurückgeht, ihre komplexe Struktur, körperliche Affinität und visuelle Poesie. Zugleich verkörpern Textilien Zuschreibungen wie „weiblich“, sie sind angesiedelt zwischen einer angewandten, handwerklichen und „freien“, künstlerischen Praxis und erinnern an industrielle Arbeit, Warenproduktion und Handel. Textilien erzeugen somit aufgrund ihres besonderen Status und ihrer Materialität ein Spannungs- und Interpretationsfeld, das über das Medium selbst hinaus auf eine politische Dimension zeigt. Vor diesem Hintergrund unternimmt die Ausstellung TEXTILES: OPEN LETTER den Versuch, bestehende Vorstellungen des Gewebten zu unterlaufen und zeigt auf, welche Eigenschaften aus dem gängigen Kanon moderner Kunst verdrängt wurden. Der Ausstellungstitel „Open Letter“, der auf eine Arbeit der (Bauhaus-)Künstlerin Anni Albers aus dem Jahr 1958 zurückgeht, ist demzufolge auch als Anregung zu verstehen, die einflussreiche Funktion des Textilen für einen kritischen, zeitgenössischen Diskurs neu zu betrachten.
Zu Gast im Museum Abteiberg stehen die ausgewählten Werke nicht nur im Dialog zueinander sondern auch in Beziehung zur spezifischen Architektur des Museums, dessen Sammlungsgeschichte und der langen Textiltradition der Stadt Mönchengladbach. Das von Hans Hollein entworfene Raumkonzept aus geschlossenen und offenen Flächen unterstützt die zahlreichen Querbezüge zwischen den aktuellen und historischen Werken und erzeugt Blickachsen in die Sammlung. Deren Fokus auf Minimalismus und Konzeptkunst setzt TEXTILES: OPEN LETTER in ein kunsthistorisches Feld, das nicht nur für viele der zeitgenössischen Künstler und Künstlerinnen eine zentrale Referenz darstellt, sondern deren Logik in vielerlei Hinsicht mit textilen Verfahren korrespondiert: so basiert die gewebte Struktur auf den zwei sich kreuzenden Fäden Kette und Schuss, einem Raster, das unter Verwendung der Prinzipien der Wiederholung und der Serie, der Vermehrung, Verdichtung und Unterbrechung Form wird. Als eine Technik, die im Handwerk und in der industriellen Produktion gleichermaßen verankert ist, wirkt das Textile an der Schnittstelle von Unikat und Reproduktion und damit entlang zwei gegenläufig angelegter Prozesse der Subjektivierung.

Die Ausstellung ist nicht chronologisch aufgebaut, argumentiert aber entlang historischer Linien und künstlerischen Positionen wie der Tradition des Bauhaus, deren ästhetische Sprache unterschiedlichste Disziplinen und Kategorien miteinander verbindet, oder der Fibre Art Bewegung, die sich als Teil einer feministischen Praxis von den technischen Begrenzungen des Webstuhls löste und dem Textilen einen eigenständigen Status in der Kunst verschaffen wollte. Der Fokus liegt auf der gewebten Struktur und dem Faden als organische Linie – wie sie u.a. Paul Klee beschrieb – sei es in Form raumgreifender Skulpturen, monumentaler Webstrukturen oder reduzierter Wandbehänge, in Materialexperimenten, Improvisationen oder strikten Notationen. Die für die vorliegende Broschüre zusammengestellten Kurztexte bieten weiterführende Informationen über die Arbeiten der Künstler:innen bzw. die Dokumente und Archive und eröffnen zahlreiche Querverweise zwischen den Exponaten und ihren Kontexten.

Die Ausstellung entstand in enger Zusammenarbeit mit Susanne Titz und basiert auf dem gleichnamigen Rechercheprojekt, das 2012 in Zusammenarbeit mit Sabeth Buchmann und der Akademie der Künste Wien sowie Leire Vergara und bulegoa z/b in Bilbao entstand. In diesem Zusammenhang fanden im Vorfeld der Ausstellung eine Reihe von Seminaren, Vorträgen, Filmprogrammen und Präsentationen in London, Leipzig, Bilbao und Wien statt, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven der Frage nach dem Verhältnis zwischen einer Geschichte der Bildenden Kunst und Textilien bzw. „Textilkunst“ annäherten. Eine Dokumentation und weitere Informationen hierzu finden sich unter: www.textilesopenletter.info. Die Ausstellung im Museum Abteiberg führt die Recherche erstmalig räumlich zusammen, ihr folgt 2014 ein weiteres Ausstellungsprojekt in der Generali Foundation Wien. Parallel erscheint 2014 eine umfangreiche Publikation zu den und Ausstellungen Recherchen mit zahlreichen Texten und Materialien, die in Kooperation mit dem Museum Abteiberg und der Generali Foundation herausgegeben wird.

Realisiert in Zusammenarbeit mit der Allianz Kulturstiftung und gefördert durch die Kunststiftung NRW und Mondriaan Fonds.

Die 64-seitige Broschüre zur Ausstellung ist kostenlos an der Museumskasse erhältlich oder hier als PDF zum Download.

PROGRAMM

22. Juni 2013
18 Uhr KONZERT in der Ausstellung, im Rahmen der Ensemblia 2013: Morton Feldman, Crippled Symmetry (1982), musikFabrik Köln
20 Uhr ERÖFFNUNG mit Dr. Gert Fischer, Kulturdezernent der Stadt Mönchengladbach, Susanne Titz, Direktorin Museum Abteiberg sowie den Kurator:innen Rike Frank und Grant Watson
21 Uhr PERFORMANCE A reading that writes a script and physical things von Yael Davids, Performerin Einat Tuchman
22 Uhr PARTY Textiles: Open Letter & Ensemblia 2013

23. Juni 2013
12 Uhr ARTIST TALK Beryl Korot im Gespräch
14 Uhr KURATOR:INNENFÜHRUNG Rike Frank und Grant Watson
16 Uhr EXKURSION Besuch des Textilmaschinendepots mit Johannes Schweiger

3. Oktober 2013
12–18 Uhr Öffentliche KONFERENZ mit Kunst- und Kulturhistoriker:innen
Der Museumsverein Mönchengladbach lädt gemeinsam mit dem Museum Abteiberg zu einer weiteren Konferenz von TEXTILES: OPEN LETTER ein. Die eintägige Konferenz befasst sich mit den wechselseitigen Einflüssen zwischen Textilien und Bildender Kunst. Im Dialog mit der Ausstellung und den gezeigten Werken vertieft sie díe Frage nach der Bedeutung des Textilen im zeitgenössischen Diskurs.
Mit Brigid Doherty (Professorin für Kunst und Archäologie sowie Germanistik an der Princeton University), Hanne Loreck (Professorin für Kunst- und Kulturwissenschaften/Gender Studies an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg) und Regina Prange (Professorin für neuere und neueste Kunstgeschichte, Kunst- und Medientheorie an der Goethe-Universität Frankfurt), sowie weitere junge Kunst- und Kulturwissenschaftler:innen als auch Kurator:innen.
12 Uhr KURATORINNENFRÜHUNG mit Rike Frank
13.30 bis 14.30 Uhr Sandwiches im Museumscafé
14.30 Uhr Anfang der Vortrags- und Diskussionsveranstaltung

10. November 2013, 12–18 Uhr
TEXTILES IN PROGRESS über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Gewebe
FINISSAGE mit sieben Kurzvorträgen und Diskussionen
Das Museum Abteiberg und die Hochschule Niederrhein laden zum Abschluss der Ausstellung ein zu einer Neubetrachtung des Textilen in Mönchengladbach, Krefeld und der ganzen Welt: Fachleute aus verschiedenen Disziplinen sprechen über Vergangenheit und Gegenwart, über das Manchester des Rheinlands, das Mönchengladbach einst war, die Krefelder Textilindustrie und den Ursprung des Bauhaus in der Lehre von Textiltechnik und Textildesign an der heutigen Hochschule Niederrhein, die Bedeutung Johannes Ittens und Paul Klees in den 1930er-Jahren sowie jene der historischen Textilschausammlungen im Museum Abteiberg, im Deutschen Textilmuseum Krefeld, im Textilmaschinendepot des Museums Schloss Rheydt und anderswo.
12 Uhr Letzte Führung durch die Ausstellung TEXTILES: OPEN LETTER
13.30–14.30 Uhr Pause im Museumscafé
14.30–17.30 Uhr Standpunkte und Diskussionsfelder von Technologie, Design, Kunst – und Textilgeschichte
Grußwort Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg, Präsident der Hochschule Niederrhein
Einführung Susanne Titz, Direktorin Museum Abteiberg
Prof. Dr.-Ing. Alexander Büsgen, Textiltechnologie, mit dem Schwerpunkt Gewebetechnologie, Hochschule Niederrhein
Prof. Dipl.-Des. Marion Ellwanger-Mohr, Textildesign mit dem Schwerpunkt Weberei, Hochschule Niederrhein
Rolf Königs, Präsident des Verbandes der rheinischen Textil- und Bekleidungsindustrie
Andreas Schulten, d.vision Trendagentur für Textilien, Düsseldorf
Dr. Karin Thönnissen, Kunst- und Textilhistorikerin, Krefeld
Dr. Annette Paetz genannt Schieck, Direktorin Deutsches Textilmuseum Krefeld
Dr. Karlheinz Wiegmann, Direktor Museum Schloss Rheydt